Wenn ihr an Silvester in Tokio seid, dann müsst ihr nach Oji. Oji ist die magische Nachbarschaft der Kanto-Füchse und der 31. Dezember ist der wichtigste Tag des Jahres für diese Fabelwesen. Habt keine Angst, wenn ihr euch von allen umzingelt fühlt, denn es ist nicht die Zeit für ihre üblichen Tricks. Es ist der Tag, um mit den Menschen zusammen freudig und friedlich den Übergang von einem Jahr zum anderen zu feiern, ihre besten Gewänder zu tragen, Inari zu huldigen und um seinen Segen zu bitten, um ein weiteres Jahr lang Glück zu haben. Es ist der Tag der Kitsune no Gyoretsu (王子狐の行列 – Die Fuchsparade).
Warum in Oji? Hier befindet sich ihr heiliger Baum, der Enoki (japanischer Zürgelbaum). Sobald sich die Füchse unter diesem Baum versammelt haben, nehmen sie menschliche Gestalt an und ziehen ihre farbenfrohsten Kimonos an. Das Mitternachtsglockenspiel markiert den Beginn einer Prozession mit japanischen Laternen auf dem Weg zum Oji Inari Jinja-Schrein (王子稲荷神社).
Das sagt die Legende und wir schreiben diese Zeilen, um zu bestätigen, dass es absolut wahr ist.
Der Enoki, ein Baum mit Geschichte und das nicht nur zu Silvester
Der japanischen Mythologie zur Folge ist Inari (稲荷) eine Gottheit, die oft die Form eines Fuchses annimmt. Traditionell schützt er auch die Ernte, den Handel und den Wohlstand im Allgemeinen. Als einer der beliebtesten Götter, ist es im ganzen Land üblich, Heiligtümer zu finden, die Inari ehren.
Der Enoki hingegen ist ein Baum mit einer wichtigen kulturellen und historischen Tradition, der in vielen Schreinen als heilig gilt. Darüber hinaus fungieren diese Bäume seit der Edo-Zeit als eine Art Proto-Infrastruktur. Die Regierung pflanzte die Bäume entlang der wichtigsten Straßen des Landes, um die Entfernungen für Reisende zu markieren. Die Füchse wissen genau, dass der Enoki der ideale Ort ist, um ihre Feier zu beginnen.
Hiroshige Utagawa (歌川広重), einer der großen Meister des Ukiyo-e (浮世絵), beschloss 1856, die Szene in einem seiner berühmten Stiche darzustellen. Die Geschichte und ihre Illustration waren die Inspiration für die Bürger von Oji, ein Fest im Jahr 1993 zu starten. Heutzutage existiert der heilige Baum nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich ein winziger, aber sehr niedlicher Schrein namens Shozoku Inari Jinja (装束稲荷神社, Inari-Schrein der Verkleidung), von wo aus die Teilnehmer der Parade ihre Reise zum Inari-Schrein beginnen.
Der Charme von Ojis festlicher Atmosphäre, etwas wirklich Einzigartiges an diesem Tag in Tokio
Obwohl das Kitsune no Gyoretsu um Mitternacht beginnt, ist es praktisch, einige Stunden früher in der Gegend anzukommen. Nicht nur, um einen geeigneten Ort zu finden, um es zu sehen, sondern auch um die festliche Atmosphäre zu genießen, das Essen an den verschiedenen Ständen zu probieren und für diejenigen, die bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen, ihre Gesichter bemalen zu lassen oder eine Maske zu kaufen, um sich zu „tarnen“ und unter die feiernden Füchse zu mischen.
In einer der kältesten Winternächte sind heißer Sake oder Amazake eure Freunde, besonders wenn es darum geht, Wache zu halten, während ihr darauf wartet, dass die Parade durch die Kita Hon Dori Avenue (北本通り) führt. Viel Glück beim Versuch, euch zum Startpunkt in Shozoku Inari Jinja zu quetschen. Ich schaffte es nicht früh genug anzukommen. Es passte nicht einmal mehr eine einzige Seele zwischen die riesige Menge, die sich bereits versammelt hatte.
Wenn es Mitternacht ist und die Neujahrsfeier beginnt, während ihr Akemashite omedetō gozaimasu (明けましておめでとうございます, Frohes neues Jahr) ruft, machen sich die Füchse auf den Weg zum Inari-Schrein zum Klang von Flöten und Trommeln. Achtet darauf, dass dieser Satz erst gesagt wird, wenn das neue Jahr begonnen hat. Bis zum 31. solltet ihr Yoi otosho o (よいお年を, Hab ein frohes Jahr) sagen.
Wie nimmt man an der Veranstaltung teil?
An der Parade nehmen immer 108 Mitglieder teil, nachdem sie sich über die offizielle Website der Veranstaltung angemeldet haben. Für 1.000 Yen pro Person kann jeder teilnehmen, bis alle Plätze besetzt sind. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine Position bis zum Veranstaltungstag noch nicht besetzt ist, ist es auch möglich, sich vor Ort anzumelden. Aber hofft nicht darauf und meldet euch besser so schnell wie möglich an: Es ist immerhin die beliebteste Veranstaltung in der Nachbarschaft und wächst mit jedem Jahr weiter.
Für diejenigen, die ein offizieller Teil der Veranstaltung sein möchten, ist es obligatorisch, einen Kimono zu tragen. Kein Yukata (japanischer Sommerkimono), kein Jinbei (sehr informelle japanische Sommerkleidung) oder Kriegerkostüme. Die Veranstaltung ist eine Gala, um das neue Jahr zu empfangen und die Kostüme müssen dementsprechend ausgewählt werden. Das traditionelle Fuchs-Make-up ist eine weitere Voraussetzung, entweder kann das zu Hause gemacht werden oder ihr könnt euch für 500 Yen vor Ort auf der Parade schminken lassen.
Die finalen Momente des Kitsune no Gyoretsu
Sobald der Oji Inari Jinja-Schrein (王子稲荷神社) um ca. 00:45 – 01:00 Uhr erreicht wird, steigen die Füchse für den letzten Teil der Veranstaltung die Tempeltreppe hinauf.
Direkt neben der Tempelhalle befindet sich ein Ort, an dem der Kagura (神楽), ein ritueller shintoistischer Tanz zu Ehren der Götter, aufgeführt wird, um die Ankunft des neuen Jahres zu begrüßen.
Sobald der Tanz endet, findet auch die Veranstaltung ein Ende – nein, wartet. Es ist schon früher Morgen am 1. Januar. Das bedeutet, dass ihr, da ihr bereits hier seid, genauso gut den ersten Besuch eines Tempels oder Heiligtums des Jahres beenden könnt. Diese Praxis nennt sich Hatsumode (初詣).
Dieses interessante Video zeigt die Entwicklung der Veranstaltung Kitsune no Gyoretsu sowie die allgemeine abendliche Atmosphäre:
Anfahrt zum Kitsune no Gyoretsu
Die Hauptbereiche, in denen die Veranstaltung stattfindet, sind nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Oji (王子駅) entfernt. Dieser kann mit den Zügen der JR Keihin-Tohoku Linie oder der Tokyo Metro Namboku Linie erreicht werden. Alternativ ist es auch möglich, die Haltestelle Oji Ekimae mit der Straßenbahnlinie Toden-Arakawa zu erreichen. Die Website der Paradeorganisation ist auf Japanisch, es gibt jedoch Links zu Informationsbroschüren auf Englisch.
Oji ist eine wunderschöne Gegend, die zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert ist. Aber wenn ihr dies noch nicht getan habt und euch am 31. Dezember in der japanischen Hauptstadt aufhaltet, ist dies die perfekte Gelegenheit, um das neue Jahr mit traditioneller japanischer Folklore zu begrüßen, die auch etwas Einzigartiges in dem ist, was Tokio am Ende des Jahres zu bieten hat.
Hinweis: Aufgrund von COVID-19 wurde die Silvesterparade 2020 ausgesetzt.
Übersetzung von Yvonne.