Ob ich damit gerechnet habe, ein so unvergessliches Wochenende zu erleben? Mit Sicherheit nicht. Doch unser Ausflug nach Aizu-Wakamatsu in Fukushima, in die Stadt der Samurai, sollte sich zu einem eindrucksvollen Erlebnis inmitten von feuerroten Ahornblättern, goldenen Ginkgobäumen, türkisblauen Teichen und einer faszinierenden Geschichte entwickeln.
Auf einen kleinen Teil unserer dreitägigen Reise möchte ich euch heute mitnehmen. Und wer weiß, vielleicht werdet ihr auch so fasziniert von der Schönheit und Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung sein, dass es euch schon bald selbst dahinziehen wird.
Aizu-Wakamatsu: Auf den Spuren der Samurai
Aber fangen wir von vorne an, mit einer kurzen Einführung in die Geschichte der Stadt, die Schauplatz einer der bedeutendsten Schlachten im Boshin-Krieg (1868-1869) wurde. Die Schlacht um Aizu ereignete sich im Herbst 1868 zwischen den dem Shogunat treuen Kräften und jenen, die eine Rückkehr zur kaiserlichen Herrschaft befürworteten. Sie steht symbolisch für die Treue und Loyalität der Samurai des Aizu-Gebiets. Denn während landesweit alle Samurai aufgefordert wurden, ihre Ländereien an den Kaiser zurückzugeben, weigerten sich die in Aizu-Wakamatsu ansässigen und versuchten ihr Gebiet zu schützen. Wendepunkt der Schlacht war schließlich der 6. Oktober, an dem die kaiserliche Armee die Burg Tsuruga attackierte, sowie die darin Schutz suchenden Bürger. Matsudaira Katamori (1836-1893), damaliger Daimyō der Aizu-Domäne, erkannte die aussichtslose Lage der Stadt und kapitulierte letztendlich nach einmonatiger Belagerung der Burg.
Doch die Spuren der loyalen Krieger sind bis heute erhalten geblieben und an zahlreichen Orten der Stadt und ihrer Umgebung, könnt ihr einen Einblick in das frühere Leben der Samurai erhaschen.
Die Burg Tsuruga: Ein Einblick in die historische Vergangenheit der Stadt
Unsere Reise zurück in die Vergangenheit und auf den Spuren der Samurai, starteten wir an der Burg Tsuruga, die auch als Burg Aizu-Wakamatsu bekannt ist. Das Gelände dieser begrüßte uns an diesem regnerischen Tag mit einem Meer aus feuerroten Momiji. Ein Anblick, der mich direkt in seinen Bann zog und durch den Kontrast der strahlend gelben Gingkobäume nur noch verstärkt wurde. Denn auch wenn die Burg eigentlich für ihre Kirschblüten im Frühjahr bekannt ist, ist sie nicht weniger beeindruckend während der Kōyō-Zeit.
Im Inneren der Burg befindet sich ein Museum, welches die Schlacht um Aizu thematisiert und einige historische Ausstellungsstücke beherbergt. Ein Name, der euch nicht nur hier, aber auch an anderen historischen Stätten der Stadt immer wieder begegnen wird, ist „Byakkotai“ (白虎隊). Doch was hat es damit auf sich? Bei den Byakkotai handelte es sich um eine Truppe von 343 jungen Samurai, von denen 20 in die Geschichte von Aizu eingingen – mit ihrem tragischen Seppuku, dem rituellen Selbstmord. Abgeschnitten von ihrer Gruppe, sahen diese 20 jungen Samurai vom Berg Iimori aus Rauch von der Burg Tsuruga aufsteigen, die zu diesem Zeitpunkt von den kaiserlichen Kräften belagert wurde. In dem Glauben, dass die Burg in Flammen stand, die Schlacht verloren und ihr Daimyō gefallen war, verübten die jungen Krieger Seppuku. Nur einer von ihnen, Iinuma Sadakichi (1854-1931), überlebte den Versuch und konnte schließlich die Geschichte seiner tapferen Kameraden weitertragen. Heute erinnert eine kleine Gedenkstätte auf dem Berg Iimori an die 20 Samurai, von denen 19 hier ihr Leben ließen.
Seit der Errichtung der Burg vor rund 640 Jahren, wurde diese mehrere Male wiederaufgebaut. Der aktuelle Burgturm wurde zuletzt 1965 restauriert. Auf dem Gelände der Burg Tsurugu befindet sich ebenfalls ein Raum für Teezeremonien, der Rinkaku genannt wird. Hier kann gegen einen kleinen Aufpreis Matcha mit Wagashi, einer traditionellen japanischen Süßspeise, genossen werden.
Bukeyashiki: Zu Gast in einer Samurai-Residenz
Unsere Reise in die Vergangenheit führte uns weiter zum Bukeyashiki, einer sorgfältig rekonstruierten Samurai-Residenz, die uns einen Einblick in das Leben dieser heroischen Krieger bot. Die 1868 bis auf die Grundmauern abgebrannte Residenz konnte dank historischer Nachforschungen von Denkmalschützern wiederaufgebaut werden und gehört heute zu den vollständigsten Samurai-Anlagen Japans.
Bei unserem Besuch begrüßte uns die Anlage mit einer Vielzahl von Chrysanthemen, die den Eingangsbereich der Residenz für hochrangige Besucher der damaligen Zeit zierten und nicht nur Motiv des kaiserlichen Siegels sind, sondern auch eine typische Herbstblume. Entlang dieses Farbenmeers wurden wir ins Innere der Residenz geführt, in der die typischen Räumlichkeiten einer Samurai-Residenz nachgestellt werden. Neben den Räumen für rangniedrige Besucher und Bedienstete, könnt ihr auch die Räumlichkeiten für ranghohe Gäste, die Damen des Hauses und die Familienmitglieder bestaunen. Auch verschiedene Samurai-Rüstungen werden in diesem Zusammenhang ausgestellt, die mich mit ihren zahlreichen Details jedes Mal wieder faszinieren.
Am beeindruckendsten entpuppte sich jedoch der kleine Garten der Residenz, der in ein Flammenmeer aus roten und gelben Momiji-Blättern getaucht zu sein schien, die in einen kleinen Teich fielen und einen strahlenden Teppich bildeten. Ein starker Kontrast zu dem dunklen Zedern- und Zypressenholz, das für die Rekonstruktion der Anlage verwendet wurde.
Angesteckt vom Feuer der Samurai, versuchten wir uns am Ende im traditionellen Bogenschießen namens Kyudo – jedoch mit nur mäßig Erfolg. Für gerade einmal 200 Yen jedoch eine unterhaltsame Erfahrung.
Nisshinkan: Die Schule der Samurai
Aber natürlich stellte sich uns auch die Frage, wo all diese Samurai in Aizu-Wakamatsu ausgebildet wurden. Die Antwort darauf lautete: im Nisshinkan. Das Aizu Hanko Nisshinkan wurde 1803 von der Aizu-Domäne gegründet, als Ausbildungsstätte für die nächste Generation an Samurai. Der Nachwuchs der Samurai-Familien besuchte die Schule ab einem Alter von zehn Jahren und wurde dort nicht nur im akademischen Sinne ausgebildet, sondern auch mental und physisch. Neben Schwimmen und Reiten standen so auch Bogenschießen und der Umgang mit Schusswaffen wie westlichen Pistolen auf dem Stundenplan.
Da wir erst kurz vor Schließung ankamen, waren die meisten Workshops bereits geschlossen. Andernfalls wird euch hier die Möglichkeit geboten, euch selbst in den Samurai-Disziplinen zu üben. Von der traditionellen Teezeremonie über das japanische Bogenschießen, auch Kyudo genannt, bis hin zum Bemalen eines hölzernen Byakkotai-Schwertes werden Besuchern hier verschiedene Aktivitäten geboten. Als besonders beeindruckend empfand ich persönlich die Poolanlage, in der die Schüler das Schwimmen mit und ohne Rüstung erlernten. Denn wie es heißt, ist dieser Pool der erste in ganz Japan gewesen. Etwas, womit ich im doch recht kühlen Fukushima nicht gerechnet habe.
Kulturelle Highlights und die natürliche Schönheit von Aizus Umgebung
Doch nicht nur die Geschichte der Stadt Aizu-Wakamatsu ist beeindruckend, sondern auch die kulturellen Stätten und atemberaubenden natürlichen Landschaften ihrer Umgebung. Und diese Highlights möchte ich euch auch auf keinen Fall vorenthalten.
Negi-Soba in Ouchi-juku
Mit seinen über 300 Jahre alten Gebäuden begrüßte uns Ouchi-juku. Diese traditionelle Stadt diente während der Edo-Zeit (1603-1868), ebenso wie die Städte Narai-juku und Magome-juku, als Poststation, wo sich Reisende ausruhen konnten. An diesem Tag waren die Reetdächer und das herbstliche Farbenmeer der Berge um uns herum in einen leichten Schneeschleier gehüllt. Die Nacht über waren wenige Flocken heruntergekommen, die der Stimmung aber nicht schadeten, eher im Gegenteil. Von den mossbewachsenen Dächern stiegen leichte Rauchwolken auf, während die Häuser für kommende Besucher aufgeheizt wurden.
Wir schlenderten durch die noch nicht zu überlaufene Straße und hielten an den zahlreichen Souvenirläden. Besonders beeindruckend waren dabei die von Hand gefertigten Kunstwerke aus Kreppstoff, die verschiedene Gemüsearten darstellten. Da sich der anfängliche Schnee in Regen wandelte und wir langsam aber sicher doch durchgefroren waren, beschlossen wir in eines der Restaurants einzukehren, um die lokale Spezialität von Ouchi-juku zu probieren: Negi-Soba. Aber wenn ihr nun eine Portion Buchweizennudeln mit extra vielen kleingeschnittenen Frühlingszwiebeln erwartet, dann muss ich euch enttäuschen. Denn zu den Negi-Soba wird euch eine ganze Stange Frühlingszwiebel gereicht, mit der ihr eure Buchweizennudeln dann esst. Auch die Frühlingszwiebel selbst könnt ihr natürlich essen, sollte euch der strenge Mundgeruch im Nachhinein nicht abschrecken. Natürlich könnt ihr eure Soba aber auch mit normalen Stäbchen essen, falls euch dieses nicht gerade einfache, dafür aber ziemlich unterhaltsame, Unterfangen abschreckt.
Eine Wanderung zu den Goshikinuma-Teichen
Und bevor ich nun zum Ende dieses Artikels komme, möchte ich euch mein persönliches Highlight nicht vorenthalten: unsere Wanderung zu den Goshikinuma-Teichen. Diese farbenfrohen Teiche bzw. Kraterseen befinden sich am Fuße des Berges Bandai und sind während eines Ausbruchs des Vulkans vor über hundert Jahren entstanden. Diese vulkanische Aktivität und den daraus resultierenden Mineralien ist es auch zu verdanken, dass jeder der Teiche seine eigene, charakteristische Farbe besitzt, die sich je nach Jahreszeit ändern kann.
Der rund vier Kilometer lange Wanderweg bietet sich für eine ruhige Tour am frühen Morgen an, womit wir unseren letzten Tag in Aizu-Wakamatsu einläuteten. Der Wald war von einer leichten Schneeschicht bedeckt, die im Licht der frühen Morgensonne glitzerte. Schweigend liefen wir durch die ruhige Landschaft und ließen die Atmosphäre auf uns einwirken. Bis zu dem Moment, als das türkisblaue Wasser des ersten Teiches durch die Bäume hindurch sichtbar wurde und mich für einen Moment sprachlos werden ließ. Ein solches Naturspektakel hatte ich hier nicht erwartet.
Auch der Berg Bandai zeigte sich auf unserer Wanderung immer mal wieder zwischen den Wolken, die im Laufe der Zeit dichter wurden. Je näher wir dem Bishamon-numa-Teich kamen, dem größten der Kraterseen, desto mehr Menschen begegneten uns ebenfalls. Denn von hier ist es nur ein Katzensprung bis zum Besucherzentrum, wo ihr Souvenirs und Kleinigkeiten zu Essen erhaltet. Hier legten wir nur eine kurze Pause ein, bevor es für uns wieder zu unserem Ausgangspunkt, dem Urabandai Bussankan, wo unser Auto stand, zurückging. So hatten wir noch einmal die Gelegenheit, an allen Teichen vorbeizukommen und ihr Farbspektakel während der Mittagszeit zu genießen. Denn auch wenn der Weg nicht lang ist, durch die zahlreichen Zwischenstopps für Fotos und um einfach die Atmosphäre zu genießen, war die Zeit wie im Flug vergangen.
Anfahrt nach Aizu-Wakamatsu
Die Stadt der Samurai ist von Tokio aus einfach zu erreichen. Ihr nutzt einfach den Yamagata- oder Tohoku-Shinkansen vom Bahnhof Tokio aus und fahrt damit bis zur Station Koriyama. Dort steigt ihr in die lokale JR-Linie Ban-Etsusai um und fahrt damit bis zur Endstation Aizu-Wakamatsu.
Wenn ich unsere Reise nach Aizu-Wakamatsu nun im Nachhinein Revue passieren lasse, dann kann ich aus tiefster Überzeugung sagen, dass sie all meine Erwartungen bei weitem übertroffen hat. Wir hatten den perfekten Zeitpunkt für das Herbstlaub erwischt und so die einmalige Gelegenheit bekommen, die Stadt und ihre Umgebung vor der Kulisse eines atemberaubenden Farbspektakels zu erkunden. Egal, ob ihr an der Samurai-Kultur Japans interessiert seid oder einfach abseits der Touristenmassen die traditionelle Seite des Landes kennenlernen wollt, Aizu-Wakamatsu hat mit Sicherheit für jeden etwas zu bieten!