Als ich vor zehn Jahren nach Japan kam, war eine meiner ersten Anschaffungen ein Fotobuch, das Kakigori かき氷 dokumentiert, das luftige, erfrischende und oft wunderschöne japanische Dessert aus geschabtem Eis. Das Buch enthielt exquisite Fotos und Details zu 365 Arten von japanischem geschabten Eis, eine für jeden Tag des Jahres. Die Existenz dieses Buches sagt ebenso viel über die nationale Liebe zu diesem Dessert aus wie meine eigene. Obwohl Kakigori in den heißen Sommermonaten am beliebtesten ist, finden die Japaner tatsächlich Ausreden, es das ganze Jahr über zu essen.
Was macht ein Dessert, das im Wesentlichen aus gefrorenem Wasser besteht, so beliebt? Zunächst einmal ist japanisches geschabtes Eis mit keinem anderen Eis auf der Welt zu vergleichen. Japans ausgedehntes Quellwassernetz sorgt dafür, dass das Eis selbst rein und köstlich ist, und viele Geschäfte verwenden Handschaber oder gut eingestellte automatische Geräte, um sicherzustellen, dass die Textur des Eises fluffig, weich und geschmeidig ist. Sobald die Grundlage des Eises gelegt ist, werden frische Zutaten, oft einzigartig und traditionell japanisch, in das Dessert geschichtet, sodass jeder gefrorene Bissen unvergesslich ist.
Die Geschichte von geschabtem Eis in Japan
Während Desserts aus zerstoßenem oder geschabtem Eis in ganz Asien verbreitet sind: Bingsu in Korea, Halo Halo in den Philippinen und Tshuah-ping in Taiwan, um nur einige zu nennen, ist Japan wahrscheinlich eines der ersten Länder in Asien, das dieses erfrischende Dessert entwickelt hat, da es bereits lange vor der Entwicklung der Kühlung Zugang zu natürlichem Eis hatte. Obwohl der genaue Zeitpunkt der Erfindung des Kakigori unbekannt ist, wurde der Genuss des japanischen geschabten Eises in der Heian-Zeit im Text des gefeierten historischen Romans Das Kopfkissenbuch von Sei Shonagon, einer Dame des kaiserlichen Hofes, dokumentiert. Damals wurden in den Wintermonaten in speziellen Einrichtungen riesige Eisblöcke für die Royals hergestellt und sorgfältig gelagert, damit sie den Sommer über hielten.
Erst in der frühen Meiji-Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde Kakigori für die Masse zugänglich gemacht, zunächst durch den Transport von importiertem und heimischem Eis aus Hokkaido im ganzen Land und später durch die Erfindung der Eismaschine. Die Menschen in Yokohama waren wahrscheinlich die ersten, die japanisches Eis für die Masse genossen, als um 1870 das erste Kakigori-Geschäft in Bashamichi eröffnet wurde.
Unendlich viele Arten von japanischem geschabten Eis
Wie die 365 Arten von Kakigori in meinem Fotobuch zeigen, sind die Japaner unendlich kreativ, wenn es darum geht, Desserts aus geschabtem Eis zuzubereiten. Die einfachste Art verwendet Kondensmilch und süßen Sirup, oft mit einem fruchtigen Geschmack wie Erdbeere oder Mango, manchmal aber auch mit traditionellen Zutaten wie Matcha oder braunem Zucker. Aber jede Saison erobern neue Trends das Land und fügen der Mischung nicht-traditionelle Zutaten hinzu: Tiramisu, Baiser und Schokoladenmousse.
Japanische Eisköche spielen auch gerne mit den Formen ihrer Kreationen. Traditionell wird es in Form eines Hügels aus frisch gefallenem Schnee hergestellt, aber heutzutage gibt es auch Geschäfte, die unglaublich hohe Türme aus Kakigori und Kreationen in Form von niedlichen Objekten, Tieren und beliebten Anime-Figuren anbieten.
Eine der früheren und beliebteren Formen von Kakigori ist Shirokuma, was weißer Bär bedeutet und in der Präfektur Kagoshima erfunden wurde. Es wird aus Fruchtstücken, süßer Bohnenpaste und Kondensmilch hergestellt, die ihm eine weiße Farbe verleiht. Sogar 7-Eleven bietet seine eigene Premiumversion von Shirokuma an, die oft in der Eiscremeabteilung vieler Geschäfte zu finden ist. Der Ursprung des Namens ist umstritten, aber einige Geschäfte servieren es in Bärenform, was es zu einem bezaubernden und köstlichen Dessert macht.
Wann und wo man Kakigori isst
Obwohl japanisches geschabtes Eis am häufigsten erhältlich ist, wenn das Wetter zwischen Juni und September heiß wird, werdet ihr, wenn ihr gründlich genug sucht, das ganze Jahr über Geschäfte finden, die Kakigori verkaufen. Aber seien wir ehrlich: Kakigori ist praktisch eine Notwendigkeit, um die brutale Hitze der japanischen Sommer zu überleben, also ist es sicherlich ein Leckerbissen, den ihr während einer Sommerreise nach Japan so oft wie möglich genießen solltet.
Im Sommer steht geschabtes Eis auf den saisonalen Speisekarten vieler Cafés und Familienrestaurants, zusätzlich zu den Spezialitätengeschäften, die es das ganze Jahr über anbieten. Besonders in traditionellen, von Touristen frequentierten Vierteln wie Asakusa in Tokio, Higashi Chaya in Kanazawa und Tenjin in Fukuoka, scheinen die kleinen blau-weißen Flaggen mit dem roten Kanji für Eis 氷 (was bedeutet, dass geschabtes Eis auf der Speisekarte steht) vor jedem zweiten Geschäft aufzutauchen.
Einer der besten Orte, um Kakigori zu essen, ist wahrscheinlich auf einem Sommerfestival in Japan. Oder noch besser: Zieht euch einen coolen Sommer-Yukata an und geht zu einem Feuerwerksfestival, einem Obon- oder Awa-Odori-Tanzfestival, oder einer Themenveranstaltung an einem öffentlichen Ort wie dem Yoyogi-Park. Ihr werdet sicherlich zahlreiche Festivalstände finden, die Eis für die Massen verkaufen. Es ist vielleicht nur die einfachste Art japanischen Eises, aber es in einer Partyatmosphäre im Freien mit euren Freunden zu genießen, ist ein Erlebnis in Japan, das ihr nie vergessen werdet.
Stellt also sicher, dass im Sommer, Winter, Frühling oder Herbst Kakigori auf eurem Speiseplan steht, um eines der einzigartigen Desserts Japans zu probieren, das die Einheimischen seit über 1.000 Jahren genießen. Aber gebt mir nicht die Schuld, wenn ihr dann 365 Tage im Jahr Heißhunger darauf habt. Zum Glück gibt es dafür ein Buch.
Übersetzung von Claudia Mitsubori.