„Perfect Days“ gehört zu einem dieser zurückhaltenden Indie-Filme, die sich die Zeit nehmen, jede Szene voll auszukosten. Mit viel Liebe zum Detail enthüllt der Film nach und nach seine Charaktere und lässt euch erraten, was direkt auf der Hand liegt. Wenn euch der Film gefallen hat, wird es euch ein wahres Vergnügen sein, einige der realen Schauplätze seiner entscheidenden Momente noch einmal zu besuchen.
Der Film zeichnet das Porträt von Hirayama (gespielt von Koji Yakusho), einem Mann mittleren Alters, der jeden Morgen durch die Stadt fährt, um seine Arbeit zu erledigen und öffentliche Designer-Toiletten rund um das trendige Shibuya zu reinigen. Nach der Arbeit nimmt er sein einsames Leben wieder auf, genießt einfache Freuden in Asakusa und Sumida. Als Co-Autor und Regisseur setzte der deutsche Filmemacher Wim Wenders auf eine rein japanische Besetzung des Films, der vollständig und ortsspezifisch im heutigen Tokio spielt.
Die Geschichte selbst wurde vom Projekt „The Tokyo Toilet“ inspiriert, das jede seiner berühmten Toiletten rund um Shibuya vollständig dokumentiert. Für eine leichte und malerische Radtour sind die älteren Orte rund um den Sumida-Fluss leicht zu erreichen, sodass jeder Teile von Hirayamas Alltag nachvollziehen und ein Gefühl für seinen nostalgischen Lebensstil in der Nachbarschaft bekommen kann.
Wir haben zwölf Orte ausgewählt, die sowohl für den Film von Bedeutung als auch für sich genommen interessant sind. Von abgelegenen Orten in Asakusa und auf der anderen Seite des Flusses in Sumida bis hin zu abgelegenen Orten in Shibuya und Shimokitazawa.
Asakusa & Sumida: Eine zeitlose Reise im alten Tokio
Tokios klassisches Viertel aus der Edo-Zeit liegt am Sumida-Fluss, im gleichnamigen Bezirk Sumida und ist auf der einen Seite vom Sensoji-Tempel im Herzen von Asakusa und auf der anderen Seite vom Tokyo Skytree aus dem 21. Jahrhundert geprägt. Hier spielt sich das Leben von Hirayama ab.
Hirayamas Apartment
Hirayamas zweistöckige Wohnung liegt im Nordosten von Tokio, auf der Ostseite des Sumida-Flusses, gleich um die Ecke vom Schrein Koto-Tenso-Jinja. Am Morgen hört er, wie der Straßenreiniger vor der westluchen Betonmauer fegt und geht zum Heiligtum, um zu beten. Dieses alte und spirituelle, ruhige Wohnviertel liegt im Schatten des Tokyo Skytree, dessen gigantische, leuchtende Silhouette über dem westlichen Horizont thront.
Auch ohne den Kaffeeautomaten auf dem Parkplatz ist das Wohnhaus aus dem Film sofort wiedererkennbar. Und mittlerweile wohnen tatsächlich Menschen dort.
Denkiyu
Das altmodische öffentliche Badehaus Denkiyu (電気湯) mit einem Wandgemälde des Berges Fuji auf der weiß gekachelten Wand, ist der Ort, an dem Hirayama nach seiner Arbeit ein erfrischendes Bad nimmt. Zwei ältere Herren sind hier gerngesehene Stammgäste. Niko (gespielt von Arisa Nakano) begleitet ihren Onkel an ihrem letzten gemeinsamen Tag hierher zum Baden.
In einem Viertel mit zahlreichen weiteren alten und renovierten Sento, wie die öffentlichen Bäder genannt werden, ist das Denkiyu nach wie vor ein familiengeführter Gemeindetreffpunkt. 1922 gegründet, ist es seit fünf Jahrzehnten im selben Gebäude aus der Showa-Ära untergebracht. Haltet Ausschau nach Stammgästen aus der Nachbarschaft, sowohl ältere Bewohner als auch junge Familien, die ihre Fahrräder vor dem Haus abstellen oder mit ihren Handtüchern und Körben in Hausschlappen vorbeikommen. Einige warten sogar vor der Tür, wenn Denkiyu um 15 Uhr öffnet.
Sakurabashi
Sakurabashi (桜橋) ist die ikonische x-förmige Brücke über dem Sumida-Fluss, die Hirayama häufig zwischen Sumida und Asakusa mit dem Rad überquert. Sie bleibt den Zuschauern im Gedächtnis mit ihren Steinpyramiden, der atemberaubenden Kulisse des Tokyo Skytree und mit Blick auf den Fluss, während Niko in den Sonnenuntergang radelt und dabei das Lied: 今度は今度。今は今。(„Nächstes Mal ist nächstes Mal. Jetzt ist jetzt“) singt. Sakurabashi ist ebenfalls der Ort, an dem Hirayama und der Ex-Ehemann der Barbesitzerin (gespielt von Tomokazu Miura) nachts unter der Brücke auf der Asakusa-Seite mit ihren Schatten plaudern und boxen.
Als erste Fußgängerbrücke über dem Sumida-Fluss wurde Sakurabashi 1985 eingeweiht. Sie erstreckt sich direkt vom nördlichen Ende des Sumida-Parks, der im Frühling von Kirschblüten gesäumt ist, bis ins Zentrum von Asakusa. Nur einen malerischen Spaziergang am Fluss entfernt, liegt die Brücke abseits der Touristenströme und scheint besonders von Radfahrern, die zur Arbeit pendeln, von Einheimischen, die mit ihren Hunden spazieren gehen, und dem Rest von uns, der in aller Ruhe die Aussicht genießt, geschätzt zu werden.
Asakusa Yakisoba Fukuchan
Asakusa Yakisoba Fukuchan (浅草焼きそば福ちゃん) ist der U-Bahn-Yakisoba-Stand, an dem Hirayama nach seiner Schicht eine Kleinigkeit isst und zu dem zumindest ein paar Stammkunden kommen, um sich das Baseballspiel im Fernsehen anzusehen. Der Standort befindet sich in einer schmuddeligen unterirdischen Einkaufspassage mit stilvoll gesättigter Neonbeleuchtung.
Fukuchan liegt am äußersten Ende der Asakusa-Untergrunds-Einkaufsstraße, Japans ältester unterirdischen Shotengai bzw. traditioneller Einkaufsstraße, die zum Ausgang sechs der Ginza-Linie in der U-Bahn-Station Asakusa führt. Der Yakisoba-Stand ist besonders an Wochenenden ein recht lebhafter Ort, direkt gegenüber von Schnäppchenregalen mit gebrauchten DVDs. Geht weiter durch den hellen Korridor, um einen Blick auf andere klassische „Untergrund“-Izakaya, also traditionelle japanische Bars, Restaurant und Pop-up-Shops zu werfen, bis hin zum Friseurladen an der Ecke am Fuß der Treppe zum Straßenausgang.
Chikyudo Books
Chikyudo Books (地球堂書店) ist der Gebrauchtbuchladen, in dem Hirayama abends Taschenbücher im Wert von 100 Yen durchstöbert, um sie zu lesen. Der freundliche Ladenbesitzer kommentiert immer seine Auswahl, von Aya Kodas Roman „Trees“ bis hin zu Patricia Highsmiths „Eleven“-Kurzgeschichten.
Chikyudo ist eines von mehreren kleinen Geschäften mit Ladenfronten im Edo-Stil an der belebten Einkaufsstraße Denpoin, die sich vom Sensoji-Tempel erstreckt. Das Geschäft besteht seit über 50 Jahren und ist auf Bücher und Zeitschriften mit Kunstbezug spezialisiert. Sobald ihr eintretet, verschwindet der Straßenlärm in der Ferne, während ihr durch die Regale stöbert. Denkt daran, das Geschäft früh zu besuchen, da der Laden bereits um 15 Uhr schließt.
Beni no Akari Novu
Beni no Akari Novu (紅の灯 ノヴ), die mit einer roten Laterne gekennzeichnete Old-School-Bar nördlich vom Sensoji-Tempel, ist der Ort, an dem Mama (gespielt von der Enka-Sängerin Sayuri Ishikawa) Hirayama seit sechs Jahren liebevoll begrüßt – seit Eröffnung des Geschäfts. Ein warmer, fensterloser Raum, in dem Mama alle ihre Kunden beim Namen kennt und in dem Hirayama gerne eine Weile in guter Gesellschaft verbringt. Keine Bildschirme, keine Tonanlage, keine Bühne, kein Mikrofon. Nur eine Akustikgitarre und eine gefühlvolle Stimme, die Raum und Zeit überschreitet.
Der eigentliche Ort des Geschehens ist ein zwangloses Restaurant, das französisch inspirierte Küche serviert und sich auf Schweinefleischgerichte spezialisiert hat. Von draußen dringt Musik aus einem obskuren Live-Haus von nebenan herein. In der umliegenden Nachbarschaft gibt es viele ähnliche Etablissements im Erdgeschoss, die einfach durch ein Schild über einer Tür in ruhigen Seitenstraßen gekennzeichnet sind.
Shibuya & Shimokitazawa: Zeitgenössische Toiletten und Vintage-Musik
Tokios größter und modernster Bezirk Shibuya ist sowohl für seine schicken Wohnviertel rund um den zentralen Yoyogi-Park als auch für den kommerziellen Trubel von Designerläden, Straßenmode und Poptrends rund um Harajuku und das berühmte Scramble Crossing bekannt. Hier arbeitet Hirayama und reinigt öffentliche Toiletten. Weiter westlich wirkt das aufstrebende Shimokitazawa relativ bodenständig mit seinem Vintage-Flair.
Toilette im Nabeshima-Shoto-Park
Auf der öffentlichen Toilette im Nabeshima-Shoto-Park findet Hirayama ein verlorenes Kind. Es ist die erste Toilette im Film, in der etwas Bedeutsames passiert. Nachdem Hirayama das Kind sicher bei der Mutter abgegeben hat, wischt diese ihm die Hände sauber, ohne den Toilettenreiniger zur Kenntnis zu nehmen. Als das Mutter-Sohn-Duo weggeht, dreht sich der kleine Junge noch einmal um, um zum Abschied zu winken.
Die charakteristischen Holzbretter des Architekten Kengo Kuma machen diese Toilette zu einer der verspielteren. Auch das Innere der einzelnen „Hütten“ ist mit Zedernholz, wiederverwendetem Kirschholz und Metasequoia-Holz in verschiedenen organischen Formen dekoriert. Die Holztoilette liegt in einem ruhigen Wohnviertel von Shibuya und passt gut in den Nabeshima-Shoto-Park, der aus einem großen Teich und einer Wassermühle besteht. Einige Leute genießen hier die Ruhe oder lesen, während sich die Kinder auf dem angrenzenden Spielplatz vergnügen.
Toilette im Yoyogi-Fukamachi-Mini-Park
Auf der öffentlichen Toilette im Yoyogi-Fukamachi-Mini-Park fragt eine Frau Hirayama auf Englisch: „Wie zum Teufel funktioniert das?“ Es handelt sich um eine der bekannteren Toiletten in dem Film, die von Shigeru Ban entworfen wurde und sich durch ihre transparenten orangefarbenen und violetten Wände auszeichnet, die bei verschlossener Tür keinen Blick zulassen. Aber Achtung: Bei kälterem Wetter ist der Transparenzmodus nicht garantiert. Im Yoyogi-Fukamachi-Mini-Park sieht Hirayama auch oft den Obdachlosen, der von dem Tänzer Min Tanaka gespielt wird.
Nur einen Katzensprung entfernt befindet sich Shigeru Bans transparente Doppeltoilette mit blauen und gelben Wänden im benachbarten Haru-no-Ogawa Community Park, der ebenfalls auf der Westseite des Yoyogi-Parks liegt. Hierher kommt Dera-chan, um mit den Ohren von Takashi zu spielen.
Flash Disc Ranch
Flash Disc Ranch ist der Vintage-Plattenladen im Obergeschoss, in den Hirayamas Kollege Takashi, gespielt von Tokio Emoto, Hirayama mitnimmt, um zu versuchen, seine alten Kassetten zu verkaufen – allerdings erfolglos.
Obwohl sich der eigentliche Laden auf Schallplatten konzentriert, ist Flash Disc Ranch ein unterhaltsamer Zwischenstopp für alle, die es lieben, populäre japanische und westliche Musik aus den 1960er und 70er Jahren auf Plattencovern zu durchstöbern, während Retro-Melodien aus den Deckenlautsprechern pfeifen. Das Geschäft befindet sich auf der Südseite von Shimokitazawa, wo ihr jede Menge gebrauchte Vintage-Kleidung findet, die zu jedem Musikstil passt.
Toilette im Ebisu-Park
In der labyrinthartigen öffentlichen Toilette aus strukturiertem Beton im Ebisu-Park beschließt Niko, Hirayama bei seinen Reinigungsarbeiten zu unterstützen – ein weiterer entscheidender Moment in der Bindung zwischen Onkel und Nichte.
Wenn man diese vom renommierten Innenarchitekten Masamichi Katayama entworfene öffentliche Toilette betritt, fühlt man sich mit ihren geräumigen Kabinen, der dezenten Beleuchtung und dem einheitlichen Design fast so, als würde man ein modernes, gehobenes Hotel betreten. Das unscheinbare Bauwerk fügt sich elegant in die gemeinschaftliche Spielplatzumgebung auf der ruhigeren Westseite des Bahnhofs Ebisu ein.
Toilette in Yoyogi-Hachiman
Auf der öffentlichen Toilette in Yoyogi-Hachiman findet Hirayama zum ersten Mal das Tic-Tac-Toe-Papier und spielt das Spiel in den folgenden Tagen schließlich mit einem unsichtbaren Fremden.
Die zylindrischen „Drei Pilze“ des Architekten Toyo Ito mit ihren gefliesten Außenwänden mit klarem Farbverlauf stechen fast komisch vor dem Wald hervor. Sie liegen direkt neben den Stufen, die zum Yoyogi Hachimangu führen.
Yoyogi-Hachimangu-Schrein
Das schattige Gelände des Yoyogi-Hachimangu-Schreins ist der Ort, an dem Hirayama oben auf der Treppe auf einer Bank sitzt, um ein Sandwich und Milch zu Mittag zu essen. Dort beobachtet er eine Frau mit einer Glückskatze und nickt einer weiteren Bürodame zu, die nie ganz erwidert. Hier denkt er auch über den Komorebi-Effekt des Sonnenlichts nach, das durch die Bäume dringt, und zückt seine Taschenfilmkamera, um ein analoges Foto aufzunehmen.
Auf einem Hügel gelegen und von Wald umgeben, fühlt sich der Yoyogi-Hachimangu wie ein versteckter Zufluchtsort direkt über dem belebten Boulevard an. Auf dem Gelände leben mehrere Hauskatzen, die in Harmonie mit freundlichen menschlichen Besuchern zu leben scheinen. Auch eine Reihe von Vögeln und, so wie es sich zumindest anhört, mindestens ein Hahn nennen das Gelände ihre Heimat. Vergesst nicht, an einem sonnigen Tag über die Bäume hinweg nach oben zu schauen.
„Perfect Days“ stellt nicht nur die stilvollen neuen öffentlichen Toiletten der Stadt vor, sondern kontrastiert auch das überaus dynamische Viertel mit einer älteren Seite von Tokio, die sich wie Hirayama nie zu verändern scheint. Und das, obwohl sich die Welt und die Menschen um ihn herum verändern und sich sogar neue Möglichkeiten für Hirayama selbst eröffnen. Das Erkunden der Drehorte ist eine Möglichkeit, auf Hirayamas Spuren all diese lokalen Viertel zu erkunden und gleichzeitig die realen Orte mit den oft glamouröseren Darstellungen von Wim Wenders Werk auf der großen Leinwand gegenüberzustellen. Die Fotos in diesem Artikel wurden daher ebenfalls stilisiert, um die besondere Kinematographie des Films einzufangen.
Ebenso wie „Your Name“ Anime-Fans dazu inspirierte, sich die im Film genannten Orte in Tokio und anderswo selbst anzusehen, und „Lost in Translation“ eine neue Welle kinobegeisterter Touristen ins Park Hyatt Tokyo in Shinjuku lockte, lädt uns „Perfect Days“ dazu ein, unsere Reise mit Ruhe anzugehen. Und vielleicht lernt auch ihr das traditionelle und trendige, aber auch das klassische und dynamische Tokio neu kennen, von einer Seite, die ihr vorher noch nicht kanntet.
Übersetzung von Yvonne Tanaka.